Der 92-jährige Investor ist vor allem für sein politisches Engagement bekannt. In der Finanzwelt jedoch gelten vor allem seine halsbrecherischen Wetten ab den frühen 1970er Jahren als beispiellos.
Lorenz Honegger
4 min
George Soros tritt mit 92 Jahren kürzer und übergibt die Geschicke seiner Wohltätigkeitsstiftungen an seinen 37-jährigen Sohn Alex, wie am Sonntag bekannt wurde. Das Milliardenvermögen der Open Society Foundations stammt aus Soros’ Tätigkeit als Hedge-Fund-Manager. In den aktiven Jahren seines Quantum Fund erzielte er eine jährliche Durchschnittsrendite von 20 Prozent. Seine halsbrecherischen Wetten ab den frühen 1970er Jahren gelten heute noch als beispiellos.
Die Geschichte von Soros’ grösster Wette spielt im Sommer 1992 und liest sich heute wie ein Finanzkrimi. Der Eiserne Vorhang war vor kurzem gefallen, und in Europa standen die Zeichen auf Integration. Soros ahnte, dass sich auf den Devisenmärkten ein Sturm zusammenbraute.
Die Notenbanken Westeuropas koordinierten in dieser Zeit ihre Wechselkurse im Europäischen Währungssystem. Für die gegenseitigen Wechselkurse von D-Mark, Pfund oder Lira galten fixe Bandbreiten, an die sich die Notenbanken halten mussten. Die europäische Wirtschaft sollte dadurch robuster und weniger anfällig für Wechselkursrisiken werden.
Soros sah voraus, dass das Währungsgebilde den Marktkräften nicht ewig würde standhalten können. Die Chance für seine Wette kam, als die deutsche Regierung im Zuge der Wiedervereinigung Ostmark in D-Mark umtauschte, massiv in den Aufbau der ostdeutschen Wirtschaft investierte und so einen Inflationsschub auslöste. Weil die deutsche Bundesbank danach die Leitzinsen erhöhte, mussten die anderen europäischen Notenbanken Massnahmen ergreifen, um eine Abwertung ihrer eigenen Währungen zu verhindern.
Soros setzte darauf, dass die britische Notenbank angesichts der schwächelnden Wirtschaft es nicht schaffen würde, den Pfundkurs gegenüber der D-Mark über längere Zeit in der vordefinierten Bandbreite von plus/minus 6 Prozent zu halten.
Sein Stellvertreter, Stanley Druckenmiller, schlug ihm vor, für eine Wette auf einen fallenden Pfundkurs gegenüber der D-Mark zwei Milliarden Dollar einzusetzen. «Du nennst das einen Einsatz?», fragte ihn Soros. Ab Anfang September 1992 begann sein Hedge-Fund damit, britische Pfund im Wert von 10 Milliarden Dollar auszuleihen und damit D-Mark zu kaufen. Die geliehene Summe entsprach dem Eineinhalbfachen der verwalteten Vermögen seines Finanzvehikels. Es ist die Art von Spekulation, nach der ein Investor in der Regel steinreich oder bankrott ist.
Der 16.September 1992 wurde zum «Schwarzen Donnerstag»
Soros’ Kalkül ging auf: Am Morgen des Mittwoch, 16.September 1992, versuchten die Briten noch einmal, das Pfund mit Leitzinserhöhungen zu stützen, auch die Franzosen eilten ihnen zu Hilfe.
Am Abend desselben Tages musste die Bank of England Forfait geben und den Austritt aus dem Währungssystem bekanntgeben. Der Wechselkurs des Pfundes gegenüber der D-Mark fiel in den Tagen danach um 15 Prozent. Soros konnte seine Schulden in der britischen Währung zu einem viel tieferen Kurs, als er sie geliehen hatte, zurückzahlen und verdiente so in wenigen Tagen über eine Milliarde Dollar. In Grossbritannien spricht man heute vom «Schwarzen Donnerstag», und Soros gilt als der «Mann, der die britische Notenbank knackte».
Soros verneinte im Nachhinein zwar, dass seine Wette zur Kapitulation der Bank of England geführt hatte. Doch das Image als rücksichtsloser Investor und Strippenzieher – ob gerechtfertigt oder ungerechtfertigt – wurde er seither nicht mehr los.
Auch in den Jahrzehnten danach erzielte er mit spektakulären Wetten auf das Aufbrechen von makroökonomischen Ungleichgewichten und Finanzblasen hohe Gewinne, manchmal aber auch Verluste. Er wettete gegen den thailändischen Baht (ab 1997) und den japanischen Yen (ab 2012) und verdiente Milliarden. Er sah auch die Dotcom-Blase voraus, allerdings war er einige Jahre zu früh mit seinen Leerverkäufen. Eine Fehleinschätzung, die ihn viel Geld kostete.
Enormer Durchhaltewille
Was Soros als Makro-Investor auszeichnet, ist sein politischer Instinkt, verbunden mit einem breiten Wissen über die Dynamik der Finanzmärkte und einer enormen Risikobereitschaft, wenn es die Situation erfordert.
Seine Biografie lässt erahnen, woher der Durchhaltewille kommt. Der 1930 in Budapest in eine jüdische Familie geborene Soros überlebte den Holocaust, wanderte nach dem Zweiten Weltkrieg im Alter von 17 Jahren nach England aus, wo er an der London School of Economics studierte und sich dann vom Souvenir- zum Börsenhändler in New York hocharbeitete, bevor er seinen eigenen Hedge-Fund gründete.
Soros hat über die Jahre seine eigenen Theorien über die Funktionsweise der Finanzmärkte entwickelt und hält weitverbreitete ökonomische Theorien für widerlegt. So glaubt er nicht daran, dass Finanzmärkte effizient sind, also dass die Kurse von Wertpapieren jederzeit sämtliche auf dem Markt verfügbaren Informationen abbilden. Er glaubt auch nicht an das Konzept der rationalen Erwartungen, das besagt, dass Individuen auf der Basis der verfügbaren Informationen im Durchschnitt die korrekten Entscheidungen treffen.
Stattdessen ist er überzeugt, dass die alles andere als rationalen Erwartungen der Finanzmarktakteure die Kursentwicklung beeinflussen und diese wiederum die Erwartungen der Marktteilnehmer. Das nennt Soros Reflexivität. Die Menschen formen die Realität, und die Realität formt den Menschen.
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